Helium ist extrem leicht, chemisch stabil und für viele moderne Technologien unverzichtbar. Gleichzeitig bleibt die Versorgung erschreckend anfällig.
Nancy Washton erinnert sich noch genau an den Moment, als die Heliumlieferung ausblieb. Anfang 2022 informierte ihr Lieferant das Team am Pacific Northwest National Laboratory in den USA, dass es kein Helium geben würde.
Die Nachfrage war zu hoch, die Vorräte zu knapp – das Labor musste mit viel weniger auskommen. Statt der gewohnten 2.500 Liter pro Lieferung kamen nur noch Bruchteile an.
Geräte, die konstant flüssiges Helium brauchen, standen plötzlich still. Das Team musste entscheiden, welche Maschinen weiterlaufen durften. Washtons Lieblingsgerät, ein hochmodernes NMR-Spektrometer, verbrauchte viel Helium, aber lieferte bahnbrechende Daten.
Diese einzigartige Anlage – die einzige ihrer Art in Nordamerika – analysierte Materialien wie Magnesiumoxid. Es zeigte sich, dass dieses Mineral Kohlendioxid aus der Atmosphäre binden kann.
„So deutliche Karbonatbildung auf diesem Gesteinstyp hatten wir nie gesehen“, sagte Washton. „Die Daten waren überwältigend – sie erzählten eine Geschichte.“
Doch mitten im Erfolg musste das Gerät abgeschaltet werden. Der Heliumverbrauch war zu hoch. Das Projekt lag für Monate auf Eis. Erst später konnten die Forschungen fortgesetzt werden – vorerst.
Globale Instabilität: Wenn ein Edelgas die Welt bremst
Kaum jemand weiß, wie sehr Helium unseren Alltag prägt. Die Raumfahrt kühlt Sensoren mit Helium, spült Triebwerke und presst Treibstoff in Raketen.
In der Medizin kühlt es die Magnete von MRT-Geräten. Auch Teilchenbeschleuniger wie der am CERN sind auf Helium angewiesen.
Ballons, Luftschiffe und Wettersonden steigen mit Helium auf. Sogar Taucher atmen es, um gefährliche Druckprobleme zu vermeiden.
2022 litten nicht nur Labore – Krankenhäuser, Chipfabriken, sogar Autohersteller spürten die Knappheit. Kliniken benötigen über 30 % des globalen Heliums, vor allem für Diagnosegeräte.
Halbleiterhersteller, die Chips für Smartphones oder Computer produzieren, setzen ebenfalls auf Helium. Es wird auch beim Schweißen und bei der Airbag-Produktion eingesetzt.
Anders als Wasserstoff entzündet sich Helium nicht. Es bleibt selbst bei -273 °C flüssig und gefriert nie. Deshalb gilt es als unverzichtbar.
„Helium ist wirklich einzigartig“, erklärt Chemieprofessorin Sophia Hayes. Wenn man es extrem abkühlt, wird es zu Superfluid – es fließt ohne Widerstand.
Solche Eigenschaften machen es für Forschung und Technik so wertvoll – aber auch schwierig zu handhaben.
Seit 2006 kam es wiederholt zu weltweiten Engpässen. Die schwerste Krise begann im Januar 2022.
Russische Produktionsanlagen brannten, ein Werk in Katar wurde gewartet, die US-Reserve pausierte. Innerhalb kurzer Zeit brach ein Zehntel der Weltproduktion weg.
2023 verdoppelte sich der Heliumpreis im Vergleich zu fünf Jahren zuvor. Seitdem bleibt der Markt nervös.
Ende 2024 stoppte die EU sämtliche Heliumimporte aus Russland. Parallel verkaufte die US-Regierung ihre nationale Heliumreserve an das Unternehmen Messer.
Mehrere Verbände warnten vor gefährlichen Folgen. Premier Inc., ein Heliumversorger für Kliniken, befürchtete Engpässe in der Patientenversorgung.
Kurz nach dem Verkauf musste Messer rechtlich gegen eine drohende Anlagenschließung vorgehen. Inzwischen versichert das Unternehmen stabile Lieferungen – doch Zweifel bleiben.
Die USA produzieren 46 % des weltweiten Heliums, Katar 38 %, Algerien rund 5 %. Fällt ein Land aus, geraten alle unter Druck.
Neue Wege mit altem Gas: Was Forschung und Industrie jetzt tun
Die ständigen Krisen zwingen Forscher, alternative Wege zu finden. Besonders MRT-Geräte stehen dabei im Fokus.
Ein herkömmliches MRT benötigt bis zu 2.000 Liter Helium. Wenn es verdampft, droht der sogenannte „Quench“ – das Gas geht verloren, der Magnet überhitzt.
Neue MRT-Modelle benötigen nur einen Liter Helium, der in einem geschlossenen System bleibt. Solche Geräte existieren bereits, sind aber sehr teuer.
Über 35.000 ältere MRTs weltweit nutzen noch die klassischen Systeme mit hohem Verbrauch.
Zudem erreichen die neuen Geräte nur Feldstärken von 1,5 Tesla – die Hälfte der Leistung älterer Modelle. „Für viele Routineuntersuchungen reichen sie aus“, sagt Sharon Giles vom King’s College London.
Einige Forscher entwickeln Supraleiter, die ohne Helium auskommen. Andere setzen auf Rückgewinnungssysteme, die verdampftes Helium wieder einfangen.
Nicholas Fitzkee von der Mississippi State University installiert gerade solch ein System. Es soll 90 % des verbrauchten Heliums zurückholen.
Die Anlage kostet rund 300.000 Dollar, soll sich aber in sechs Jahren bezahlt machen.
Der Aufwand ist groß: Rohre, Ventile, Umbauten – und viele verstehen nicht, wie viel das bringt.
„Wenn ich sage, ich brauche 600.000 Dollar für neue Leitungen, fragen manche: Was soll das bringen?“, sagt Washton.
Doch es gibt Hoffnung. In Katar entsteht bis 2027 eine neue Heliumfabrik.
Tansania startet 2025 die Förderung eines riesigen Heliumfelds – gezielt entdeckt, nicht zufällig beim Gasabbau. Auch in China wurden neue Vorkommen gefunden.
Christopher Ballentine, Geochemiker in Oxford, war an der Entdeckung beteiligt. Er warnt jedoch: „Große Heliumfelder zu erschließen dauert Jahre und kostet viel.“
Die vergangenen Engpässe zeigen, wie knapp Helium wirklich ist – und wie schnell es verschwindet.
Washton bringt es auf den Punkt: „Stellen Sie sich vor, Ihre Oma bekommt kein MRT, weil kein Helium da ist. Das ist ernst – und wir müssen jetzt handeln.“