Vor acht Monaten fiel Damaskus beinahe ohne Widerstand. Der Sturz des Assad-Regimes bedeutete für viele Syrerinnen und Syrer das Ende einer autoritären Ära voller Unterdrückung und Konflikte. Die islamistische Gruppierung Haiat Tahrir al-Scham (HTS) übernahm das Ruder. Ihr Anführer Ahmed al-Scharaa wurde Übergangspräsident. Laut UN-Bericht bestehen keine aktiven Verbindungen mehr zwischen HTS und al-Kaida.
Die USA strichen HTS kürzlich von der Terrorliste. EU und UN halten jedoch weiter an der Einstufung als Terrororganisation fest. Scharaa versichert bei internationalen Treffen seinen Reformwillen, auch beim Besuch von US-Präsident Trump. Doch trotz dieser politischen Öffnung bleibt die Machtverteilung in Syrien einseitig.
Minderheiten unter Druck und Gewalt
Zahlreiche Minderheiten begegnen der neuen Führung mit Skepsis. Die Regierung dominiert eine sunnitisch geprägte Elite, viele mit islamistischem Hintergrund. Zwar sitzen auch Alawiten, Christen und Kurden in Ministerien, doch Beobachter sehen darin vor allem symbolische Gesten.
Trotz Versprechen zur Entwaffnung agieren Milizen weiter eigenständig. Wiederholt griffen Bewaffnete unter HTS-Befehl religiöse Minderheiten an. Ein Terroranschlag auf eine Kirche forderte über 20 Tote. Zwar zeigte die Regierung auf den IS, doch eine HTS-Abspaltung bekannte sich zur Tat. Die Frage nach Scharaas Kontrolle über seine Sicherheitskräfte bleibt offen.
Fragile Stabilität, offene Zukunft
Die wirtschaftliche Lage zeigt kaum Besserung, obwohl Sanktionen gelockert wurden. Experten fordern Strukturreformen, vor allem im Justizwesen. Die neue Regierung bemüht sich um pragmatische Lösungen: Vereinbarungen mit kurdischen und drusischen Gruppen, Amnestien für Assad-treue Offiziere und Verzicht auf Strafverfolgung einzelner Kriegsverbrecher – alles im Namen eines „sozialen Friedens“.
Doch Gewalt, Misstrauen und instabile Sicherheitsverhältnisse prägen den Alltag. Amnesty International warnt vor einem weiterhin unberechenbaren Umfeld. Viele Flüchtlinge äußern in UN-Befragungen den Wunsch nach Infrastruktur und Sicherheit – politische Fragen stehen für sie hinten an.
Die Übergangsverfassung sieht nach fünf Jahren Wahlen vor. Ob es wirklich freie und demokratische Abstimmungen geben wird, bleibt offen. Beobachter mahnen: Ohne klare Vision für echte Demokratie bleibt Syriens Zukunft ungewiss – ebenso wie der Weg dorthin.