Forschende simulieren erstmals Demenzentwicklung an lebender Hirnsubstanz
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Großbritannien haben einen bedeutenden Schritt im Kampf gegen Alzheimer gemacht. Zum ersten Mal gelang es, lebendes menschliches Hirngewebe mit einem toxischen Protein in Kontakt zu bringen, das mit Alzheimer in Verbindung steht. Ziel war es, die Krankheitsentwicklung in Echtzeit zu beobachten. Das verwendete Protein, eine schädliche Form von Amyloid-Beta, wurde aus dem Gehirn verstorbener Alzheimer-Patienten gewonnen. Die Forscher wollten sehen, wie es die Verbindungen zwischen Nervenzellen zerstört. Diese Methode ermöglicht neue Einblicke in die Entstehung der Krankheit und erleichtert die Entwicklung potenzieller Therapien. Angesichts der Prognose, dass die Zahl der Demenzkranken bis 2050 auf fast 153 Millionen steigt, ist der medizinische Handlungsdruck hoch.
Die Proben stammten von Patienten, die sich in Edinburgh einer Hirnoperation unterzogen. Im Zuge der Entfernung von Tumoren wurden kleine, gesunde Hirngewebestücke entnommen. Diese wären sonst entsorgt worden, durften mit Zustimmung der Patienten aber für Forschungszwecke verwendet werden. Wissenschaftler warteten in OP-Kleidung direkt im Operationssaal, um das Gewebe in mit Sauerstoff angereicherter künstlicher Rückenmarksflüssigkeit zu konservieren. Anschließend transportierten sie es in Eile ins nahegelegene Labor.
Lebende Hirnschnitte eröffnen neue Testmöglichkeiten
Alzheimer-Symptome lassen sich im Labor gezielt auslösen
Im Labor schnitten die Forscher das Hirngewebe in dünne Scheiben – weniger als ein Drittel Millimeter dick. Diese Stücke wurden in Nährlösung bei 37 Grad Celsius inkubiert, um Körpertemperatur zu simulieren. Innerhalb kürzester Zeit starteten die Versuche. Die Hirnproben blieben bis zu zwei Wochen lang lebendig und reaktionsfähig. Das Team um Dr. Claire Durrant vom Centre for Discovery Brain Sciences untersuchte dann, wie das toxische Amyloid-Beta mit dem lebenden Gewebe interagiert.
Anders als bei der normalen Variante des Proteins konnte das Gehirn die verursachten Schäden nicht reparieren. Schon minimale Schwankungen im Amyloid-Beta-Spiegel – egal ob nach oben oder unten – reichten aus, um die Zellfunktionen zu stören. Das zeigt laut Durrant, wie präzise der Proteingehalt für gesunde Hirnfunktionen reguliert sein muss. Ihre Forschung belegt, dass lebendes menschliches Gewebe entscheidend dazu beitragen kann, Alzheimer besser zu verstehen und zu behandeln.
Besonders wichtig ist dabei, dass Alzheimer als erstes die Synapsen angreift – die Verbindungsstellen, über die Nervenzellen Informationen austauschen. Der Verlust dieser Synapsen gilt als zentraler Auslöser für den Abbau von Gedächtnis und kognitiven Fähigkeiten. Die neue Methode erlaubt es, genau diesen Prozess gezielt zu untersuchen und potenzielle Medikamente schneller zu testen.
Forschungsunterstützung und künftige Einsatzmöglichkeiten
Spenden ermöglichen realitätsnahe Alzheimer-Forschung
Die Studie wurde durch die Stiftung „Race Against Dementia“ von Sir Jackie Stewart und eine Millionenspende der James Dyson Foundation gefördert. Dyson nannte die Methode „bahnbrechend“, da sie echte menschliche Gehirnzellen verwendet und nicht länger auf Tierversuche mit Mäusen angewiesen ist.
Weitere Erkenntnisse gewannen die Forschenden aus der Analyse verschiedener Hirnareale. Schnitte aus dem Temporallappen – ein Bereich, der früh von Alzheimer betroffen ist – setzten deutlich mehr Tau-Protein frei. Diese erhöhte Freisetzung könnte erklären, warum dieses Areal besonders anfällig für frühe Krankheitsprozesse ist, da sich das toxische Tau-Protein schneller ausbreiten kann.
Professorin Tara Spires-Jones vom UK Dementia Research Institute lobte die Arbeit ebenfalls. Sie betonte, dass das Arbeiten mit lebendem menschlichem Gewebe neue Möglichkeiten eröffnet. Man könne nun nicht nur besser verstehen, wie Alzheimer im Gehirn entsteht, sondern auch prüfen, wie neue Behandlungsansätze in echtem menschlichem Gewebe wirken.
Diese neue Forschungsplattform bringt die Wissenschaft ein großes Stück näher an Therapien, die gezielt das Fortschreiten von Alzheimer verlangsamen oder stoppen könnten. Die Hoffnung auf wirksame Behandlungsmethoden wächst damit erheblich.