Die Gesänge von Vögeln sind – ähnlich wie menschliche Musik – von Alter, sozialem Umfeld und Migration geprägt. Eine neue Studie zeigt, dass Veränderungen in der Zusammensetzung einer Vogelpopulation die Auswahl, Weitergabe und Vielfalt der Gesänge beeinflussen können.
Wie sich Vogelgesang über Zeit und Raum verändert
Forscher analysierten 20.000 Stunden Aufnahmen von Kohlmeisen in Wytham Woods, Oxford, um zu verstehen, wie sich ihr Gesang entwickelt. Mithilfe künstlicher Intelligenz und GPS-Tracking untersuchten sie individuelle männliche Kohlmeisen und zeichneten über drei Jahre hinweg mehr als 100.000 Gesänge auf. Ziel war es, den Einfluss von Alter und Migration auf die Gesangsvielfalt zu erforschen.
Dr. Nilo Merino Recalde, Hauptautor der Studie von der Universität Oxford, hob die Bedeutung der Ergebnisse hervor. „Es ist spannend zu sehen, wie universelle Muster das Erlernen von Verhaltensweisen beeinflussen, ähnlich wie bei menschlicher Sprache und Musik.“ Gleichzeitig betonte er, dass Vogelgesang andere Funktionen erfüllt. „Vögel nutzen Gesänge zur Revierverteidigung, zur Abschreckung von Rivalen und zur Partnersuche – das formt die Entwicklung ihrer Lieder.“
Durch den Einsatz von KI-gestützter Analyse verglichen die Forscher Gesangsähnlichkeiten zwischen einzelnen Vögeln, innerhalb von Nachbarschaften und über die gesamte Population hinweg. Dies ermöglichte eine detaillierte Untersuchung des Einflusses von Altersverteilung, Migration und Populationsdynamik auf den Vogelgesang.
Alter und Migration beeinflussen Gesangsvielfalt
Die Studie ergab, dass Vögel ähnlichen Alters innerhalb einer Nachbarschaft oft ähnliche Gesänge bevorzugten. Ältere Vögel sangen häufiger ältere, seltenere Lieder – ähnlich wie ältere Menschen oft traditionelle Musik schätzen. Da Kohlmeisen ihre Gesänge im ersten Lebensjahr erlernen, führten Nachbarschaften mit einer altersgemischten Zusammensetzung zu einer größeren Gesangsvielfalt.
Migration spielte ebenfalls eine zentrale Rolle. Neue Vögel übernahmen meist die lokalen Lieder, anstatt neue Gesänge einzuführen. Dies liegt vermutlich daran, dass Jungvögel umherziehen, während sie sich noch in der Lernphase befinden. Interessanterweise entwickelten mobile Vögel oft ein größeres Repertoire als sesshafte Vögel – der genaue Grund dafür ist noch nicht vollständig geklärt.
In stabilen Nachbarschaften mit wenig Zu- und Abwanderung entstanden hingegen einzigartige „hausgemachte“ Gesänge. In Gegenden mit hoher Mobilität wurden Repertoires einheitlicher, da populäre Lieder sich leichter in der gesamten Population verbreiteten.
Neue Perspektiven für Naturschutz und Forschung
Diese Erkenntnisse bieten nicht nur spannende Einblicke in die kulturelle Evolution bei Vögeln, sondern auch neue Möglichkeiten für den Naturschutz. Recalde betonte, dass die Analyse von Vogelgesang wertvolle Informationen über den Zustand und die Struktur von Populationen liefern könnte. „Indem wir ihre Gesänge untersuchen, können wir Rückschlüsse auf die Populationsentwicklung ziehen, ohne die Tiere fangen zu müssen“, erklärte er. Die Studie eröffnet neue Wege, um zu verstehen, wie Tierarten sich anpassen und wie kulturelle Muster über Generationen weitergegeben werden.