Erschütterung in den Klassenzimmern
Nach dem tödlichen Amoklauf eines ehemaligen Schülers des Borg Dreierschützengasse herrscht an vielen Grazer Schulen Ausnahmezustand. „Mehrere Schülerinnen und Schüler kamen nicht, weil sie Angst hatten“, sagt Maria S., Lehrerin an der Landesberufsschule. Sie möchte anonym bleiben. Zwei frühere Bombendrohungen hatten die Schulgemeinschaft bereits belastet. Die aktuelle Gewalttat übersteigt nun alles.
Am Mittwoch gedachte man der zehn Todesopfer mit einer Schweigeminute. „Die Betroffenheit ist enorm – bei Jugendlichen und Lehrkräften“, erklärt Maria S. Besonders junge Schülerinnen reagierten mit Unsicherheit und Angst. Viele fragten immer wieder: „Wer ist der Nächste?“ Statt Unterricht standen intensive Gespräche im Mittelpunkt.
Schulpsychologische Hilfe und neue Räume für Sicherheit
Das Borg Dreierschützengasse bleibt bis einschließlich Sonntag geschlossen. Ab Montag soll der Unterricht wieder beginnen – ohne Anwesenheitspflicht. Wer sich der Rückkehr nicht gewachsen fühlt, wird automatisch entschuldigt. In der Grazer List-Halle entstand ein Raum zur Unterstützung für Betroffene. Schülerinnen, Eltern und Lehrkräfte finden dort psychologische Begleitung.
Mehrere Teams für Schulpsychologie und Krisenintervention begleiten die Wiedereingliederung in den Schulalltag. Neben den Unterrichtseinheiten werden individuelle Gesprächsangebote geschaffen. Die kommenden Tage dienen nicht der Leistung, sondern der Stabilisierung.
Prüfungen unter Rücksichtnahme und flexible Maturatermine
Die derzeit laufende Matura wurde unterbrochen. Die betroffenen Schülerinnen dürfen selbst wählen, ob sie ihre Prüfungen vor dem Sommer oder erst im Herbst ablegen möchten. Diese Entscheidung soll den individuellen Belastungen Rechnung tragen.
Auch an anderen Schulen spürt man die Folgen des Gewaltakts. Viele Schülerinnen sind durch persönliche Beziehungen zu Opfern oder durch eigene Ängste betroffen. Lehrkräfte wurden dazu angehalten, bei Prüfungen besondere Sensibilität zu zeigen. Der Unterricht läuft weiter – jedoch mit angepasstem Tempo. Empfehlungen und ein digitales Seminar helfen den Lehrenden bei schwierigen Gesprächen.
Struktur als Anker in der Krise
„Ein geregelter Schulalltag kann Jugendlichen Halt geben“, sagt Susanne Schönlechner, Professorin und Krisenmanagerin am Akademischen Gymnasium. Deutschlehrer Klaus Candussi erklärt: „Wir haben heute eine Schularbeit geschrieben – mit der Sonderregelung, dass niemand schlechter bewertet werden kann. Das war einvernehmlich. Viele sehnen sich nach etwas Normalität.“
An der Berufsschule wird nun deutlich, wie wichtig Prävention ist. „Wir bereiten uns seit Jahren auf Ernstfälle vor“, sagt Maria S. „Was bisher Theorie war, wurde am Borg schmerzhafte Realität.“
Reden als Weg zur Verarbeitung
Jugendpsychiater Paul Plener betont die Bedeutung von Gesprächen im schulischen Umfeld. Kinder und Jugendliche brauchen offene Räume, um das Geschehene einzuordnen. Lehrkräfte sollen zuhören, Unsicherheiten ernst nehmen und Vertrauen schaffen. Nur durch offenen Austausch lässt sich der Weg aus der Krise beginnen.