Technologischer Fortschritt oder ein alter Fehler im neuen Gewand?
Erhitzte Tabakprodukte verbreiten sich rasant, doch die gesundheitlichen Folgen sind weiterhin unklar. Ben Taylor, IT-Berater und Autor, rauchte seit seinem 13. Lebensjahr und versuchte mehrfach, mit E-Zigaretten aufzuhören – vergeblich. Die Liquids hinterließen bei ihm kein zufriedenes Gefühl, also entschied er sich, IQOS zu testen – ein elektronisches Gerät von Philip Morris International, das Tabak ohne Verbrennung erhitzt. Für Taylor kam das Erlebnis einer klassischen Zigarette näher als jede Vape zuvor. Der Geruch verschwand und sein chronischer Husten ebenfalls.
Ein neues Image für ein altes Produkt
Die Tabakindustrie präsentiert erhitzte Produkte als moderne, weniger schädliche Alternativen zur Zigarette. Hersteller wie PMI, BAT und JTI betonen niedrigere Schadstoffwerte und verweisen auf firmeneigene Studien. Doch unabhängige Mediziner warnen: Die tatsächlichen Risiken sind noch nicht ausreichend erforscht. Trotz wissenschaftlicher Zweifel gewinnen diese Produkte weltweit Marktanteile – vor allem in Japan und Italien. In den USA wurde IQOS 2025 erneut eingeführt, zunächst in Austin, mit Genehmigung der FDA, jedoch ohne gesundheitliche Unbedenklichkeit.
Scheitern, Neuanfang und Marketingmacht
Bereits 1988 versuchte RJ Reynolds mit „Premier“, ein Tabakprodukt ohne Verbrennung zu etablieren – es floppte. Die heutigen Produkte wie IQOS, glo oder Ploom setzen auf digitale Technik, stylisches Design und massives Marketing. Influencer, Prominente und Events in Szenevierteln machen erhitzten Tabak zum Lifestyle. Besonders junge Erwachsene werden durch moderne Kampagnen angesprochen, die Tabak als technisches Accessoire präsentieren.
Wachsender Markt trotz geringer Nutzung
In den USA nutzen bislang nur wenige Menschen erhitzten Tabak, aber das Interesse wächst. Laut einer Umfrage haben nur 0,5 % der Erwachsenen entsprechende Geräte probiert. Die FDA erlaubte deren Verkauf, machte aber deutlich: Diese Produkte sind nicht harmlos. Philip Morris spricht dennoch von mehr als 22 Millionen Menschen weltweit, die vom Rauchen auf IQOS umgestiegen seien.
Jugend im Visier der Werbestrategie?
Experten befürchten, dass sich die Werbung gezielt an Nichtraucher unter 25 richtet. Die Unternehmen bestreiten das und betonen ihre strengen Altersrichtlinien. Epidemiologe Silvano Gallus sieht das anders: In Städten wie Mailand oder Nagoya beobachtete er auffällige Jugendkampagnen. 2019 beendete PMI eine Social-Media-Kampagne, nachdem eine 21-Jährige für das Produkt geworben hatte. Studien aus Italien zeigen eine hohe Nutzung durch junge Erwachsene, während PMI auf japanische Daten mit niedriger Jugendquote verweist.
Der Einstieg in eine neue Abhängigkeit
Gallus veröffentlichte 2024 eine Studie mit 3.000 Probanden. Wer als Nichtraucher erhitzten Tabak nutzte, griff deutlich häufiger später zur Zigarette. Für Gallus ist klar: Diese Produkte dienen als Einstieg und nicht als Ausstieg. Philip Morris wies die Studie als methodisch schwach zurück, verweist jedoch nicht auf gegenteilige Daten. Der Vorwurf bleibt bestehen: Die Industrie schafft mit erhitztem Tabak neue Konsumenten.
Mode, Musik, Marken: Das neue Gesicht des Tabaks
Die Vermarktung setzt auf Stil, Technik und Exklusivität. Studien zeigen, dass Social-Media-Beiträge mit Models, Autos oder Pools besonders viele Reaktionen erhalten. Die WHO kritisierte 2023, dass diese Strategien gezielt auf junge, technikaffine Menschen abzielen. PMI gibt an, bei Veranstaltungen Altersgrenzen einzuhalten und keine TikTok-Konten zu betreiben. Nach eigenen Angaben sind über 80 % der IQOS-Nutzer über 29 Jahre alt.
Wissenschaft im Schatten der Industrie
Viele Studien zu erhitztem Tabak stammen von den Herstellern selbst – das erschwert objektive Bewertungen. Schweizer Forscher zeigten bereits 2017, dass IQOS schädliche Substanzen freisetzt, obwohl keine Verbrennung stattfindet. Sie forderten, dass solche Produkte rechtlich wie Zigaretten behandelt werden. Die Temperatur reicht aus, um giftige Stoffe durch Pyrolyse freizusetzen – ein gesundheitliches Risiko bleibt bestehen.
Chemische Rückstände und offene Fragen
Chemiker Efthimios Zervas untersuchte über Jahre die Emissionen verschiedener Produkte. Er entdeckte schädliche Partikel und Substanzen wie Methylglyoxal – teilweise in höheren Konzentrationen als bei klassischen Zigaretten. PMI widerspricht den Ergebnissen und behauptet, IQOS produziere keine festen Partikel. Andere Studien fanden über 200 chemische Verbindungen in den Dämpfen. Die WHO fordert weiterführende Forschung.
Zulassung ohne Sicherheitssiegel
Die FDA betont klar, dass keine Tabakprodukte als sicher gelten. PMI, BAT und JTI erkennen Risiken an, sprechen aber von potenziellen Vorteilen beim vollständigen Umstieg. PMI sieht sich als Vorreiter einer rauchfreien Zukunft, während BAT auf die fehlende Verbrennung hinweist. JTI erklärt, erhitzte Produkte nicht als Entwöhnungshilfe zu vermarkten.
Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Studien
2024 veröffentlichte die Europäische Gesellschaft für Atemwegserkrankungen ein kritisches Papier zu erhitztem Tabak. Darin wurde bestätigt, dass weiterhin gefährliche Substanzen enthalten sind. Die Universität Bath bewertete die Studienlage 2022 als unzureichend und stark industrienah. PMI wies die Kritik zurück, ohne belegbare Gegenstudien vorzulegen.
Neue Produkte – alte Probleme
Gesundheitsexperten sehen sich einer wachsenden Vielfalt neuer Tabakformen gegenüber. Sandra Mullin von Vital Strategies spricht von einem endlosen Wettlauf mit der Industrie. In China entdeckte sie Geräte, die wie Spielzeuge aussehen, aber Nikotin enthalten. Die WHO warnt, dass erhitzte Produkte den Konsum nicht verringern, sondern ausweiten. Eine britische Studie fand keinen klaren Nutzen beim Rauchstopp. Zwei Drittel der Nutzer kombinieren erhitzte Produkte mit klassischen Zigaretten.
Doppelbelastung statt Schadensreduktion
Gallus analysierte 26 Studien weltweit – viele Nutzer konsumieren gleichzeitig erhitzten Tabak und Zigaretten. Diese „Dual-User“ haben ein höheres Krankheitsrisiko als reine Raucher. Sophie Braznell von der Universität Bath kritisiert die Industrie dafür, doppelt zu profitieren. PMI behauptet, 72 % der Nutzer hätten vollständig umgestellt. BAT und JTI äußerten sich nicht zum Thema Doppelkonsum.
Die Zukunft des Tabaks bleibt ungewiss
Mit der Rückkehr von IQOS in die USA wachsen die Sorgen vor einer neuen Nikotinwelle. Yolonda Richardson warnt vor Mischkonsum, insbesondere bei Jugendlichen. Die gesundheitlichen Folgen könnten sich über Jahre erstrecken und schwer zuzuordnen sein. Zervas fordert eine strikte Vorabprüfung wie bei Medikamenten – denn bei Tabak erfolgt die Kontrolle oft erst nach der Markteinführung.